AnSichtsSache

Aus der Sparte »privat bis kurios«
oder auch: was ich eigentlich nicht sagen will, aber wohl muss.

Die FBM steht an und so langsam mache ich mir Gedanken darum, wie ich meine erste wirklich große Messe hinter mich bringen werde. Gefühlt alle Leute in dieser Szene kennen sich, folgen sich gegenseitig auf diversen Social-Media-Kanälen und ich unbekanntes Ei dröppel da so ein bisschen am Rand mit herum und habe keine Ahnung von Nichts. Nur wie soll sich das ändern, wenn ich nicht mal dabei bin? Also los nix wie hin.

Und dann ist da dieses Problem.
Nachdem ich mehrere Monate (ja, wirklich) gegrübelt habe, ob ich über dieses Thema tatsächlich hier einen richtigen Beitrag schreiben soll (es kommt mir noch immer übertrieben vor…), sitze ich nun vor der Tastatur und weiß nicht so recht, wo ich anfangen will. Vielleicht bei dem Buch, das Schuld ist, dass ich beschlossen habe, doch irgendwann so mutig zu sein? Ja, vielleicht ist das eine ganz gute Idee:

Die Rede ist von Hanover’s Blind.
Kia Kahawas Novelle erzählt die Geschichte von Adam, der in seine Traumstadt Hannover zieht, um sich dort ein eigenes Leben aufzubauen. Der große Haken an der Sache: Er ist fast blind. Und er versteckt das.
Genau da fangen Probleme an, über die sich viele Leute überhaupt keine Gedanken machen. Wie kompliziert es zum Beispiel ist, mit einer Schwerbehinderung (völlig egal was für eine) einen Job zu finden*. Oder sich alleine an einem fremden Ort zurechtzufinden. Oder zu einer simplen Verabredung zu gehen – ohne aufzufallen.
Kia erzählt in ihrer Geschichte, welche Tricks es braucht, ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen – und das es sogar ganz anders geht. Dass man sich nicht verstecken muss. Dass auch Blinde tanzen können.

Die Sache mit der Hilfe
Ja, Hilfe zu bekommen ist etwas wunderbares. Selbstständigkeit umgekehrt aber genauso. Je mehr man davon verliert, je mehr man bemitleidet und gesondert behandelt wird, desto mehr leidet das Selbstbewusstsein. So geht es Adam und so geht es manchmal mir selbst. Was in diesem Beitrag Erwähnung findet, ist selbstverständlich nicht allgemein gültig. Jeder Mensch ist individuell und erlebt diese Dinge anders. Es sind Beispiele dafür, wie kompliziert es bisweilen ist, gleichberechtigt und ohne Vorurteile zu leben und wie anstrengend es sein kann, wenn man zu sehr darauf bedacht ist, normal zu erscheinen und dabei nicht in diesem Strudel unterzugehen.

Und warum jetzt das ganze Gelaber?
Jede Person, die mit einer Behinderung lebt, findet ihren eigenen Weg, damit umzugehen. Das dazu gehört, nicht dem Beruf oder den Hobbys nachzugehen, die man gerne ausüben möchte, ist leider zu oft der Fall. Weil Inklusion noch nicht überall funktioniert. Weil Vorbehalte existieren. Vielen fehlt die Kraft, sich das zu erkämpfen, was sie sich wünschen. Aber es kann funktionieren. Das zeigt Kias Werk und das ist auch der Grund, warum ich heute diesen Beitrag schreibe. In der Hoffnung zeigen zu können, was möglich ist und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was für Hürden es trotzdem gibt. Und eventuell sogar ein wenig Mut zu machen.

Dinge, über die man nicht gerne redet …
… es aber lieber doch macht, um Missverständnisse und Ärger zu vermeiden.
Bei Hanover’s Blind war ich Testleserin, weil ich unter derselben Krankheit leide wie Adam: Optikusatrophie. Zu Deutsch: sterbende Sehnerven. In meinem Fall ist das linke Auge von Geburt an blind, das rechte hat aktuell noch 3,3 %, die sich mit Kontaktlinsen auf 25 bis 30 % aufbessern lassen. Genug, um (noch) nicht (oft) mit Stock unterwegs sein zu müssen. Zu wenig, um irgendwas außerhalb eines Umkreises von circa anderthalb Metern zuverlässig zu erkennen. Wobei mein Kopf ziemlich gut puzzeln kann. Ich brauche nicht viele Informationen, um mir denken zu können, was da passiert. Andererseits übersehe ich Dinge auch. Zum Beispiel Leute auf der anderen Straßenseite, die mir zuwinken (»Wie unhöflich! Du grüßt ja gar nicht zurück!«) oder eben alles, was links von mir so vor sich geht (»Rempel mich gefälligst nicht an!«). Da wären wir wieder beim Thema Messe: Dort, wo es so laut ist, dass ich mich nicht nur auf meine Ohren verlassen kann und so viel um einen herum passiert, dass man es nicht schafft, auf alles zugleich zu achten und mit umschauen gar nicht fertig wird. 

Aber du fotografierst! Und arbeitest mit Grafikprogrammen! Und für die Zeitung!!
!!!1!11! Ja, unfassbar, was? Ich tippe sogar Nachrichten in mein Smartphone und lese bei meinen Lesungen von Blättern ab … Alles, was sich (in entsprechender Größe) nahe genug vor meinem Auge befindet, klappt (noch) gut. Davon abgesehen, reden sowohl mein Computer als auch mein Handy mit mir, was die Sache immens vereinfacht (stellt euch mal vor, ich hab tatsächlich Kopfhörer an, ohne das da Musik läuft. Das ist meistens das Navi. Oder die Ansagen für die Öffis, damit ich mir nicht verlegen vor einem Fahrplan die Nase plattdrücken und anderen die Sicht versperren muss, bis ich den Käse gefunden habe …). Es gibt dank moderner Technik jede Menge Hilfsmittel, die das Leben erleichtern. Neben Audioausgaben Lupenprogramme, Bildschirmlesegeräte etc. Wenn ich für die Zeitung unterwegs bin, wird meine Kamera oft als Fernglas zweckentfremdet. In Restaurants, Kinos usw. laufe ich jemandem aus meiner Gruppe direkt hinterher, was es mir immens erleichtert bei gedämpftem Licht nicht zu stolpern (einzelne Stufen … nicht meine Freunde -.- ) oder etwas nicht zu erkennen, worauf gezeigt wird („Ihr Tisch ist der mit dem Reserviert-Schild“, „Nehmen Sie doch bitte schon mal am Tisch Nummer 5 Platz“, „Die Toilette ist da die Treppen runter und dann ist es ausgeschildert.“). Das Einzige, was zugegeben relativ kompliziert sein kann, ist als Journalistin ohne Auto unterwegs zu sein. Es schränkt immens ein. Meinen Tätigkeitsraum genauso wie unsere Wohnungswahl und vieles mehr. Aber es ist das, was ich kann und womit ich zumindest das erreiche, was ich möchte.

Das System, dass eben nicht für jeden funktioniert
Nachdem ich meinen eigentlichen Beruf nicht mehr ausüben konnte, habe ich eine Umschulung in eiem Berufsförderungswerk gemacht. So wie es sich in Deutschland gehört, wie es die Agentur für Arbeit verlangt. Zwei Jahre Fernbeziehung und Wohnheimleben, Abschluss als Jahrgangsbeste, um im Anschluss trotzdem keinen beruflichen Anschluss mehr zu bekommen. Über 500 Bewerbungen, unzählige Gespräche und mit Fachabitur, drei abgeschlossenen Ausbildungen und in der letzten mit einem Abschluss von 1,9 nicht gut genug. Ich habe mich krampfhaft bemüht ins System zu passen, alles versucht und mich maximal in Formen gequetscht, aus denen ich doch an der einen oder anderen Stelle hinausgequollen bin. Na ja. Zumindest so lange, bis ich ganz unten angekommen bin. Nervlich wie finanziell. Dann habe ich mich auf meinen Hintern gesetzt und das gemacht, was ich kann. Schreiben. Was soll ich sagen … einfach ist es immer noch nicht, aber es läuft. 

Fazit oder so ähnlich
Bammel vor Veranstaltungen wie der FBM habe ich trotzdem. Aber ich gehe hin. Weil ich weiter kommen will und weil es sicher irgendwie funktionieren wird. Ich hoffe sehr, dass ich mich in kein allzu großes Fettnäpfchen setze =/ und das ich es schaffe, mich so oft zu erklären und rechtfertigen, wie es eben notwendig sein wird, auch wenn ich jedes Mal gerne im Erdboden versinken würde. Wenn alles läuft wie geplant, bringe ich auch Muffins mit =D Backen kann ich nämlich auch ganz gut.

Die Fußnote zum Thema Jobs, die ich mir nicht verkneifen kann, weil gefühlt die Hälfte mit jenem ach so tollen Argument kommen:
*
Ja, ich weiß, es gibt sie, die berühmten Quoten und Verpflichtungen zur Einstellung behinderter Menschen. Aber es gibt auch genauso viele Möglichkeiten, diese Leute eben nicht einzustellen – oder ihnen Aufgaben zu verpassen, die sie eigentlich unterfordern, bei denen sie unglücklich versauern und die sie doch machen, weil sie wissen, dass sich nichts besseres finden wird. Weil es schön günstig ist, wenn man sie denn schon nehmen muss mit ihren fünf Tagen mehr Urlaub und der amtlichen Unterstützung im Falle einer Kündigung … Den Minderleistungsausgleich und die Eingliederungshilfe entschädigen schließlich nicht alles (Ironie off). Es wird sich erbarmt. Dabei werden wir leider viel zu oft in eine Schublade gequetscht, die aussagt: »Mehr könnt ihr Behinderten ja doch nicht schaffen. Seid froh, dass ihr als Zahnrädchen euren bescheidenen Dienst leisten könnt und stellt gefälligst keine Ansprüche.« Ihr Behinderte. Wie ich das hasse. Über einen Kamm geschert und abgestempelt. Tolle Inklusion. Sorry, aber ich bin nur ziemlich blind, nicht blöd … Zum Glück sind nicht alle Arbeitgeber so. Es gibt auch gute – nur leider viel zu selten.